Auf Amazon.de zu handeln, wird aus umsatzsteuerlicher Sicht rasch unübersichtlich. Macht man „fulfillment by Amazon“, kurz „FBA“ genannt, lagert Amazon die Ware des Händlers in Deutschland und (bei Freischaltung des Programms „CEE“) auch in Polen und Tschechien. Wer das Amazon-Programm „PAN-EU“ nützt, lagert seine Ware zusätzlich in UK, Frankreich, Italien und Spanien. Dazu wird meist noch der von Amazon angebotene Umsatzsteuer-Berechnungsservice aktiviert. Der Händler lässt damit seine Rechnungen für Verkäufe auf Amazon von Amazon erstellen. Alles das lässt sich mit ein paar wenigen Klicks in den Verkäufer-Einstellungen regeln. So weit, so gut, aber damit ist es noch lange nicht getan. Was nämlich bedeutet das aus umsatzsteuerlicher Sicht für den Händler? Der wichtigste Punkt gleich vorab: Amazon übernimmt keinerlei Verantwortung für die umsatzsteuerliche Richtigkeit der erstellten Rechnungen. Amazon wendet starr sein Abrechnungsschema an (siehe dazu sogleich). Ob den Händler hierzu weitere Verpflichtungen in einzelnen Ländern treffen, wird von Amazon weder geprüft, noch wird der Händler von Amazon darauf aufmerksam gemacht. Sollte es zu Steuerverkürzungen oder falschen Steuerabfuhren kommen, haftet primär der Händler gegenüber dem Finanzamt.
Punkt 1 auf der „Todo“-Liste des Händlers ist noch relativ klar: in all jenen Ländern, in welchen Amazon – Lager genutzt werden, muss sich der Händler steuerlich registrieren lassen. Verkauft der Händler nun Ware an einen Konsumenten (B2C), wendet Amazon für diese Länder (im nachfolgenden Beispiel etwa Frankreich) bei Rechnungserstellung automatisch das Bestimmungslandprinzip an. Lieferungen, die also beispielsweise aus einem deutschen Amazon-Lager an einen französischen Kunden gesendet werden, werden von Amazon mit französischer Umsatzsteuer fakturiert. Jetzt kann es aber kompliziert werden: wird die französische Lieferschwelle (aktuell: EUR 100.000,00) nämlich nicht überschritten, ist ein Lieferschwellenverzicht erforderlich. Das ist Punkt 2 auf der „Todo“-Liste, der schnell übersehen wird. Und der rasch komplex wird, denn: ein Lieferschwellenverzicht ist in jedem Land, aus dem Lieferungen in das Zielland (in unserem Beispiel also Frankreich) erfolgen, getrennt zu beantragen. Eine Lieferung an einen französischen Kunden könnte bei Aktivierung des PAN-EU-Programms theoretisch aus einem Amazon-Lager in Deutschland, Italien, UK, Spanien, Polen oder Tschechien erfolgen. Darauf, aus welchem Lager Amazon die Ware nimmt, die der Kunde erhält, hat der Händler keinen Einfluss. In all diesen Ländern ist daher ein Lieferschwellenverzicht für Frankreich erforderlich. Liefert der Händler zusätzlich auch selbst (auf Amazon „fulfillment by merchant“, kurz „FBM“, genannt, oder zB bei Verkäufen über ebay) und tut er dies etwa aus einem österreichischen Lager, muss er auch in Österreich den Verzicht auf die französische Lieferschwelle beantragen.
Hier gilt es weiters Folgendes zu beachten: in manchen Ländern, zB Polen, gibt es Wartefristen, bevor der Verzicht auf die Lieferschwelle wirksam ist (bis dahin ist zwingend mit polnischer Umsatzsteuer zu fakturieren). In manchen Ländern ist man außerdem für einen gewissen Zeitraum an den Verzicht gebunden (zB Österreich, Tschechien und Deutschland). Daran sollten all jene Händler denken, die das PAN-EU-Programm deaktivieren, aber weiterhin über alle europäischen Amazon-Marktplätze verkaufen wollen.
Wird aus Österreich bzw nach Österreich versendet, sollte jedenfalls genau geprüft werden, ob die Lieferschwelle überschritten wurde oder ob ein Lieferschwellenverzicht erforderlich ist. Amazon nimmt den Händlern diese Prüfung nicht ab bzw könnte diese Prüfung bei Händlern, die über mehrere Vertriebskanäle verkaufen, auch gar nicht durchführen. Die Verantwortung bleibt beim Händler, der gegebenenfalls Selbstanzeige erstatten sollte, wenn österreichische Umsatzsteuer fälschlicherweise nicht abgeführt wurde. Widrigenfalls drohen Strafen nach dem Finanzstrafgesetz.
Die gute Nachricht: ab 01.07.2021 gibt es für Händler eine wesentliche Erleichterung. Ab dann findet EU-weit generell das Bestimmungslandprinzip Anwendung (dh es gibt keine Lieferschwellen mehr) und eine Registrierung in anderen EU-Staaten ist nicht mehr erforderlich. Die Meldung der Umsatzsteuer für alle innergemeinschaftlichen Versandhandelsumsätze kann vielmehr über nur einen EU-Mitgliedsstaat erfolgen. Die anderen EU-Mitgliedstaaten könnten sodann jedoch auf Händler aufmerksam werden, die im Jahr 2020 noch keine Umsatzsteuer im jeweiligen Land abgeführt haben, aber dennoch die frühere Lieferschwelle im Jahr 2021 überschritten hätten. In diesen Fällen ist es naheliegend, dass auch in Vorjahren bereits die Lieferschwelle überschritten wurde und daher Umsatzsteuer im jeweiligen Bestimmungsland hätte abgeführt werden müssen. Um böses Erwachen zu verhindern, ist zu empfehlen, den eigenen Sachverhalt von einem qualifizierten Steuerberater oder Rechtsanwalt überprüfen zu lassen.